Die Walküre


ERSTER AUFZUG

VORSPIEL UND ERSTE SZENE

Das Innere eines Wohnraumes


In der Mitte steht der Stamm einer mächtigen Esche, dessen stark erhabene Wurzeln sich weithin in den Erdboden verlieren; von seinem Wipfel ist der Baum durch ein gezimmertes Dach geschieden, welches so durchschnitten ist, daß der Stamm und die nach allen Seiten hin sich ausstreckenden Äste durch genau entsprechende Öffnungen hindurchgehen; von dem belaubten Wipfel wird angenommen, daß er sich über dieses Dach ausbreite.

Um den Eschenstamm, als Mittelpunkt, ist nun ein Saal gezimmert; die Wände sind aus roh behauenem Holzwerk, hier und da mit geflochtenen und gewebten Decken behangen.

Rechts im Vordergrunde steht der Herd, dessen Rauchfang seitwärts zum Dache hinausführt: hinter dem Herde befindet sich ein innerer Raum, gleich einem Vorratsspeicher, zu dem man auf einigen hölzernen Stufen hinaufsteigt: davor hängt, halb zurückgeschlagen, eine geflochtene Decke.

Im Hintergrunde eine Eingangstür mit schlichtem Holzriegel.

Links die Tür zu einem inneren Gemache, zu dem gleichfalls Stufen hinaufführen; weiter vornen auf derselben Seite ein Tisch mit einer breiten, an der Wand angezimmerten Bank dahinter und hölzernen Schemeln davor.

(Ein kurzes Orchestervorspiel von heftiger, stürmischer Bewegung leitet ein.

Als der Vorhang aufgeht, öffnet Siegmund von außen hastig die Eingangstür und tritt ein: es ist gegen Abend, starkes Gewitter, im Begriff, sich zu legen.
Siegmund hält einen Augenblick den Riegel in der Hand und überblickt den Wohnraum: er scheint von übermäßiger Anstrengung erschöpft; sein Gewand und Aussehen zeigen, daß er sich auf der Flucht befinde. Da er niemand gewahrt, schließt er die Tür hinter sich, schreitet auf den Herd zu und wirft sich dort ermattet auf eine Decke von Bärenfell.)

SIEGMUND

Wes Herd dies auch sei, hier muß ich rasten.

(Er sinkt zurück und bleibt einige Zeit regungslos ausgestreckt. Sieglinde tritt aus der Tür des inneren Gemaches; sie glaubte ihren Mann heimgekehrt: ihre ernste Miene zeigt sich dann verwundert, als sie einen Fremden am Herde ausgestreckt sieht).

SIEGLINDE

(noch im Hintergrunde)

Ein fremder Mann? Ihn muß ich fragen.

(Sie tritt ruhig einige Schritte näher)

Wer kam ins Haus und liegt dort am Herd?

(Da Siegmund sich nicht regt, tritt sie noch etwas näher und betrachtet ihn)

Müde liegt er, von Weges Müh'n.
Schwanden die Sinne ihm?
Wäre er siech?

(Sie neigt sich zu ihm herab und lauscht)

Noch schwillt ihm der Atem; das Auge nur schloß er. -
Mutig dünkt mich der Mann, sank er müd' auch hin.

SIEGMUND

(fährt jäh mit dem Haupt in die Höhe)

Ein Quell! Ein Quell!

SIEGLINDE

Erquickung schaff' ich.

(Sie nimmt schnell ein Trinkhorn und geht damit aus dem Hause. Sie kommt zurück und reicht das gefüllte Trinkhorn Siegmund)

Labung biet' ich dem lechzenden Gaumen:
Wasser, wie du gewollt.

(Siegmund trinkt und reicht ihr das Horn zurück. Als er ihr mit dem Haupte Dank zuwinkt, haftet sein Blick mit steigender Teilnahme an ihren Mienen.)

SIEGMUND

Kühlende Labung gab mir der Quell,
des Müden Last machte er leicht:
erfrischt ist der Mut,
das Aug' erfreut des Sehens selige Lust.
Wer ist's, der so mir es labt?

SIEGLINDE

Dies Haus und dies Weib sind Hundings Eigen;
gastlich gönn' er dir Rast: harre, bis heim er kehrt!

SIEGMUND

Waffenlos bin ich:
dem wunden Gast wird dein Gatte nicht wehren.

SIEGLINDE

(mit besorgter Hast)

Die Wunden weise mir schnell!

SIEGMUND

(schüttelt sich und springt lebhaft vom Lager zum Sitz auf)

Gering sind sie, der Rede nicht wert;
noch fügen des Leibes Glieder sich fest.
Hätten halb so stark wie mein Arm
Schild und Speer mir gehalten,
nimmer floh ich dem Feind,
doch zerschellten mir Speer und Schild.

Der Feinde Meute hetzte mich müd',
Gewitterbrunst brach meinen Leib;
doch schneller, als ich der Meute,
schwand die Müdigkeit mir:
sank auf die Lider mir Nacht;
die Sonne lacht mir nun neu.



SIEGLINDE

(geht nach dem Speicher, füllt ein Horn mit Met und reicht es Siegmund mit freundlicher Bewegtheit)

Des seimigen Metes süßen Trank
mög'st du mir nicht verschmähn.

SIEGMUND

Schmecktest du mir ihn zu?

Sieglinde nippt am Horne und reicht es ihm wieder.

Siegmund tut einen langen Zug, indem er den Blick mit wachsender Wärme auf sie heftet.
Er setzt so das Horn ab und läßt es langsam sinken, während der Ausdruck seiner Miene in starke Ergriffenheit übergeht.

Er seufzt tief auf und senkt den Blick düster zu Boden.)

SIEGMUND

(mit bebender Stimme)

Einen Unseligen labtest du:
Unheil wende der Wunsch von dir!

(Er bricht schnell auf, um fortzugehen)

Gerastet hab' ich und süß geruht.
Weiter wend' ich den Schritt.

(er geht nach hinten)

SIEGLINDE

(lebhaft sich umwendend)

Wer verfolgt dich, daß du schon fliehst?

SIEGMUND

(von ihrem Rufe gefesselt, wendet sich wieder; langsam und düster)

Mißwende folgt mir, wohin ich fliehe;
Mißwende naht mir, wo ich mich neige. -
Dir, Frau, doch bleibe sie fern!
Fort wend' ich Fuß und Blick.

(Er schreitet schnell bis zur Tür und hebt den Riegel)

SIEGLINDE

(in heftigem Selbstvergessen ihm nachrufend)

So bleibe hier!
Nicht bringst du Unheil dahin,
wo Unheil im Hause wohnt!

(Siegmund bleibt tief erschüttert stehen; er forscht in Sieglindes Mienen; diese schlägt verschämt und traurig die Augen nieder. Langes Schweigen)

SIEGMUND

(kehrt zurück)

Wehwalt hieß ich mich selbst:
Hunding will ich erwarten.

(Er lehnt sich an den Herd; sein Blick haftet mit ruhiger und entschlossener Teilnahme an Sieglinde; diese hebt langsam das Auge wieder zu ihm auf. Beide blicken sich in langem Schweigen mit dem Ausdruck tiefster Ergriffenheit in die Augen).